Das zauberhafte Gemälde

Herr K. betrachtete sein Kunstwerk. Das neue Gemälde gefiel ihm außerordentlich gut. Es war zauberhaft. Es durfte ihm auch außerordentlich gut gefallen, denn er hatte es schließlich gemalt und Eigenlob ist eine unerlässliche Eigenschaft eines Künstlers, denn wer wollte das eigene Werk besser beurteilen können, als der, der es erschuf? Natürlich ließ Herr K. seine Gemälde auch von anderen betrachten, denn das zweite zur Selbstbetrachtung und -beurteilung hinzukommende Axiom der Kunst ist auch immer die Sicht des Betrachters, für dessen Augen und Sinne es erschaffen wurde. Schöpfung bedarf der Wahrnehmung. Kunst lebt von diesem Spannungsverhältnis zwischen der Betrachtung des Schöpfers und der des Betrachters. Ohne dieses könnte Kunst nicht existieren, denn Kunst, welche nicht wahrgenommen werden kann, ist keine Kunst.

Herr K. lebte für seine Gemälde und auch von ihnen. Sie gefielen einigen Leuten so außerordentlich gut, dass sie bereit waren, Herrn K. dafür so viel Geld zu geben, dass er nicht nur neue Leinwände und Farben kaufen, sondern vom Rest sogar einigermaßen auskömmlich leben konnte. So war es auch bei diesem zauberhaften Gemälde. Für den Nachmittag hatte sich Amtsrat W. angekündigt, um das Kunstwerk zu betrachten und zu entscheiden, ob er es kaufen wollte, denn er und seine Frau hatten den fünfzehnten Hochzeitstag und zu diesem Anlass wollten sie sich ein Gemälde schenken und es musste, da waren sie sich einig, ein von Herrn K. gemaltes sein. Sie schätzten und liebten seine Gemälde.

In die Betrachtung seines neuen Werkes versunken, strich Herr K. mit den Fingern leicht über die überaus wundervolle Leinwand, welche auf einen Keilrahmen aus hochwertigem abgelagerten alten Kiefernholz aus Kanada aufgezogen war. Sie bestand aus bestem handgewebtem Flachs aus der Leinpflanze (Linum usitatissimum), angebaut in Ägypten. Herr K. fuhr nämlich einmal im Jahr nach Oberägypten, um dort, in dem heute eigentlich unbekannten, früher jedoch als eine Wiege des Flachs geltenden Anbaugebiet El Badâri, den Flachs zu begutachten, aus welchem vor tausenden von Jahren auch die Binden für die Mumifizierung der Herrscher und hochrangigen Beamten hergestellt wurden. Er ließ den Flachs dort auch gleich verarbeiten.

Dieser Herstellungsprozess ist sehr aufwendig. Die geernteten Flachsstengel werden zuerst in ein Wasserbad gelegt, um den Pflanzenleim aufzulösen, welcher die Fasern mit den Holzbestandteilen verbindet. Dann wird der Lein gebrochen und so die Holzbestandteile zerkleinert. Später werden durch das Schwingen die kurzen Fasern, das minderwertige Werg, von den Langfasern getrennt. Um z.B. einhundertfünfzig Gramm Leinwand aus feinsten Langfasern zu erhalten, muss ca. ein Kilogramm Flachs verarbeitet werden. Später werden die Langfasern gehechelt; so nennt man das Kämmverfahren, um die Fasern zu reinigen. Die gereinigten Fasern werden danach gesponnen und zu der hochwertigen fertigen Leinwand verwebt, welche Herr K. dann in ausreichender Menge kaufte und mit nach Hause nahm. Schon diese Leinwand war das Geld wert, welches Herr K. für seine Gemälde verlangte. Herr K. hatte hohe Ansprüche an seine Gemälde. Ebensolch hohe Ansprüche wie deren Käufer. Ein Gemälde von Herrn K. über dem Kamin hängen zu haben, war ein Zeichen von höchster Qualität und feinstem Kunstsinn. Doch bei der Qualität seiner Leinwände ließ es Herr K. nicht bewenden. Wenn schon die Leinwand höchsten Ansprüchen genügen musste, so war es bei den Farben nicht anders.

Herr K. war ein Meister der Königsdisziplin der Maler, der Ölmalerei. Er lernte viele Jahre bei Meistern dieser Technik und galt nun selbst als einer der ihren. Er malte Nass in Nass, einem Verfahren, bei dem in die noch nicht getrocknete Farbe hinein gemalt wird und durch welches die Gemälde lange Zeit, manchmal über ein Jahr zum Trocknen brauchen. So ist es möglich, durch den Einsatz von viel Öl und wenig Farbe, sehr feine, lasierende Farbschichten herzustellen, welche seinen Gemälden ihre ungeheure, zauberhafte Ausdruckskraft verliehen. Als Öl verwendet Herr K. generell Perillaöl aus der Perillapflanze, einem Öl, was ähnlich wie Leinöl riecht, welches Herr K. früher verwendete. Nachdem sich dieses Leinöl jedoch einmal selbst entzündete, beschloss er anstelle dessen das Perillaöl zu verwenden. Er kauft dieses Öl einmal im Jahr in ausreichender Menge in Japan, wo es den Namen Sisho trägt, und von dem ehrwürdigen Mokudō Tetsugen Roshi, einem alten Zen-Meister in der Sōtō-Linie, am Fuße des Fuji-san in der Präfektur Yamanashi gezüchtet, einmal im Jahr geerntet und mit einer sehr alten Handspindelpresse liebevoll kaltgepresst wird.

Herr K. stellte selbstverständlich seine Farben selbst her. Dazu verwendet er verschiedene, von eigener Hand geriebene Pigmente von Mineralien und anderen natürlichen Farbträgern. Den Türkis für den die Landschaft seines zauberhaften Gemäldes durchziehenden kleinen Fluss bezieht er aus dem Iran, aus den Minen um den zweitausend Meter hohen Ali-Mersai Berg, an der Koh-e-Binalud-Bergkette im Nishapur-Distrikt, ca. siebenhundert Kilometer von Teheran entfernt. Das Blau des Ultramarin des die Landschaft überspannenden Himmels stammt vom Lapislazuli aus der nordostafghanischen Provinz Badachschan, das Weiß für die schneebedeckten Berge aus dem Cerussit, welcher aus der Minenstadt Tsumeb in Namibia stammt, bildet auch die Grundlage für die Mennige, aus der das leuchtende Rot der herbstlichen Buchen und Rosen entsteht, während das aus der Provinz Hunan in China stammende Rauschgelb genannte Auripigment die Grundlage der wogenden Kornfelder und Sonnenblumen bildet und der Limonit aus Rio Tinto in Spanien das Umbra für den satten, braunen Boden entstehen lässt. Und natürlich trug Herr K. die Farben auf seine zauberhaften Gemälde ausschließlich mit sehr wertvollen Pinseln auf, deren Haar vom Schweif des sibirischen Kolinsky Rotmarders stammt.

Den krönenden Abschluss findet jedes Gemälde mit dem Firnis aus dem Harz von Mastix-Pistazienbäumen der griechischen Insel Chios, deren Rinde jedes Jahr im Juni angeritzt wird, so dass das Harz auslaufen kann. Zehn dieser Bäume liefern ungefähr ein Kilogramm des Mastix-Harzes, weshalb es sehr, sehr teuer ist.

Ein wirklich gutes Gemälde braucht nicht nur einen guten Künstler, sondern wirklich gute Materialien, dass wusste Herr K. und diesbezüglich war mit ihm auch nicht zu reden. Was sein muss, muss sein.

Ein lautes Klopfen an der Haustür riss Herrn K. aus seinen Gedanken. Das musste Amtsrat W. in Begleitung seiner Frau sein! Schnell öffnete er eine Flasche guten Portwein aus dem portugiesischen Dourotal, stellte die kleinen, fein handgeschliffenen Gläser bereit, ging frohen Gedankens die alte, knarrende Holztreppe hinunter und öffnete die Türe.

Sein Willkommenslächeln machte einem etwas verwunderten Stirnrunzeln Platz, begehrten doch nicht etwa die erwarteten Gäste, Amtsrat W. nebst Frau, Einlass in sein Haus, sondern ein kleiner, blasser, unscheinbarer Fremder in fadenscheinigem Gewande, in der linken Hand eine alte braune, schon sehr abgegriffene Aktentasche haltend. Mit einer dünnen Stimme, welche gar nicht aus seinem Munde, schmal wie ein Strich, sondern aus dem ganzen schmächtigen Körper zu kommen schien und Herrn K. an das unangenehm quietschende Geräusch von Fingernägeln auf einer Schieferplatte denken und ihm einen leichten Schauer über dem Rücken laufen ließ, sagte der Fremde sehr freundlich und leise, doch trotzdem irgendwie bedrohlich wirkend, während er sich wie selbstverständlich an Herrn K. vorbeischlängelte und ohne Zögern die Treppe zum Atelier emporstieg, deren Stufen keinerlei Geräusch von sich gaben, wie sie es sonst zu tun pflegten, ganz so, als hätten sie Angst, ein Geräusch von sich zu geben, und es deshalb lieber vorzögen zu schweigen: »Guten Tag Herr K. Ich habe schon viel von Ihnen gehört und möchte deshalb endlich einmal auch ein Gemälde von Ihnen begutachten.«

Etwas verwundert und leicht verstimmt über den unangemeldeten Besuch, aber dennoch erfreut über einen neuen Käufer stieg Herr K. hinter dem Fremden die Treppe hinauf. Dieser wartete höflich, bis Herr K. ihm die Tür öffnete und mit einer leichten Handbewegung zum Eintreten aufforderte.

»Was für ein zauberhaftes Gemälde!«, rief der Fremde sofort bei dessen Anblick und seine Bewunderung hinterließ einen ehrlichen Eindruck bei Herrn K., welcher sich trotz seiner Irritation gern über das Kompliment freute. »Ja, ich weiß«, sagte Herr K., »aber eigentlich warte ich auf den Amtsrat W. und seine Frau, denn diese wollten das Gemälde heute betrachten und es sich zu ihrem fünfzehnten Hochzeitstag schenken.«

Schmale Augen betrachteten Herrn K. eindringlich. So eindringlich, dass Herr K. ganz automatisch versuchte, im Geiste eine Farbkombination herauszufinden, mit welcher diese Augen auf eine Leinwand zu bringen wären. Etwas verwirrt bemerkte er aber, dass der Fremde irgendwie farblose Augen hatte. Sie sahen zwar aus wie normale Augen, trotzdem war es ihm nicht möglich zu bestimmen, welche Farbe die Augen des ihm immer geheimnisvoller werdenden Fremden hatten. Sie entzogen sich irgendwie dem Blick des Künstlers, ganz so, als ob sie zwar selbst beobachten, aber selbst nicht beobachtet werden wollten. Etwas eingeschüchtert bot er dem ungebetenen Gast ein Glas Portwein an. »Oh, dieser Wein war doch sicher sehr teuer?«, fragte der geheimnisvolle Fremde sofort, und Herr K. begann, mehr um seine Unsicherheit zu verbergen, zu erzählen, dass er diesen guten Portwein eigentlich nur für Gäste bereit stellte, welche seine Gemälde in Augenschein nahmen, um zu entscheiden, ob sie eines oder mehrere erwerben wollten.

Die Frage: »Was kostet eigentlich so ein Gemälde von Ihnen?«, weckte den Kunstsinn von Herrn K. und er war nun in seinem Element. Mit ausladenden Gesten erzählte er dem geheimnisvollen Fremden von all den Reisen, auf welchen er die Grundbestandteile seiner Gemälde erstand, wie diese angebaut, abgebaut, verarbeitet und hergestellt wurden, lobte die Arbeit der daran Beteiligten und schwärmte von den vielfältigen Eindrücken und Erfahrungen, welche diese Reisen begleiteten und welche ihm so oft auch die Motive seiner Gemälde schenkten. Er beschrieb eindrücklich die Gedanken und Gefühle, welche sich vor der Schaffung eines Gemäldes zu dem verdichteten, was er schließlich auf die Leinwand brachte. Er erzählte vom mühsamen Schaffensprozess, von auftretenden Zweifeln, ob das Werk seinen Ansprüchen und denen seiner Käufer genügen würde, von all den nicht vollendeten Werken, von zerschnittenen Leinwänden, wenn die Arbeit nicht so gut lief, von falsch hergestellten Farben, von all dem Ringen und Bangen und Sehnen und schlussendlich der Freude, wenn das Werk ihm gefiel und es auch einen Freund und Kenner fand, welcher es als Kostbarkeit behutsam nach Hause trug, um sich den Rest seines Lebens an ihm zu erfreuen.

»Ja, aber was kostet denn nun so ein Gemälde von Ihnen?«, fragte der geheimnisvolle Fremde beharrlich. »Nun ja, das ist nicht so einfach zu beantworten. Es kommt auch darauf an, was der Käufer zu investieren bereit ist und ob ich mit diesem Preis einverstanden bin.«, antwortete Herr K.

»Dann nennen Sie mir doch zum Beispiel den Preis, den Sie von Amtsrat W. und seiner Frau für dieses zauberhafte Gemälde erwarten.«, ließ der geheimnisvolle Fremde nicht locker. Herr K. ließ vor seinem geistigen Auge die vielen Reisen und Mühen vorüberziehen, welcher er auf sich nahm, um es zu erschaffen, rechnete die Arbeitszeit und den ganzen Aufwand zusammen und sagte schließlich: »Ich würde sagen, so um die tausend Taler wären schon angemessen.«

»Das ist aber eine Menge Geld!« rief der geheimnisvolle Fremde erstaunt und wirkte trotz des stolzen Preises sehr erfreut darüber, denn er fügte hinzu: »Es ist diesen Preis sicher wert.«

Eigentlich war Herr K. trotz seiner allgemeinen Anerkennung durch die Käufer daran gewöhnt, dass diese in der Regel um den Preis eines Gemäldes verhandelten. Nicht dass sie ihn übervorteilen wollten oder seine Arbeit nicht zu schätzen wussten, aber sie konnten nie ganz verheimlichen, dass sie gern um den Preis feilschten und zumindest gegenüber einem kleinen Preisnachlass nicht abgeneigt waren. Er kannte das und es war in Ordnung so, es gehörte einfach zu den Gepflogenheiten des Handels. Er nutzte diesen Umstand, um noch einmal nachdrücklich auf die Vorzüge seiner Arbeit hinzuweisen. Gewöhnlich setzte er deshalb vorab einen etwas höheren Preis an und so kompensierten sich alle Wünsche, während am Ende jeder hatte, was er wollte. Er seinen wohlverdienten Lohn und die Käufer ein zauberhaftes Gemälde, dessen Preis sie in Maßen selbst mitbestimmen konnten. Dieser geheimnisvolle Fremde jedoch feilschte nicht nur nicht, sondern der Preis entsprach offensichtlich so genau seiner Vorstellung, dass er darüber Freude zu empfinden schien. »Natürlich ist es einen Preis wert«, sagte Herr K. stolz und auch etwas geschmeichelt und begann erneut aufzuzählen, welchen Aufwand er betrieben hatte, bis dieses Gemälde das war, was es war, nämlich zauberhaft. Aufmerksam hörte der geheimnisvolle Fremde zu und nickte zustimmend.

»Ich bin mit dem Preis einverstanden.«, sagte der geheimnisvolle Fremde. »Es tut mir sehr leid, aber dieses Gemälde ist schon dem Amtsrat W. und seiner Frau versprochen und ein anderes habe ich derzeit nicht vorrätig.« entgegnete Herr K, worauf der geheimnisvolle Fremde kurz überlegte und sagte: »Ich zahle Ihnen für das zauberhafte Gemälde den doppelten Preis, ganze zweitausend Taler! Was halten Sie von diesem doch sehr großzügigen Angebot? Sie sollten es annehmen!«

Herr K. musste sich setzen und begann zu überlegen. Wenn er das Gemälde nun dem geheimnisvollen Fremden verkaufen würde, dem Amtsrat W. und seiner Frau sagen würde, ihres wäre noch nicht fertig und für sie ein neues zauberhaftes Gemälde malen würde, dann müsste das eigentlich in Ordnung sein, es war ja noch etwas Zeit bis zu deren fünfzehnten Hochzeitstag. Entschlossen sprang er auf und hielt dem geheimnisvollen Fremden seine Hand hin, in welche dieser einschlug: »Abgemacht!«, sagten beide wie aus einem Munde. Herr K. nahm das Gemälde von der Staffelei und überreichte es dem geheimnisvollen Fremden. Dieser stellte es neben sich auf den Boden, griff in seine Tasche und Herr K. freute sich über seinen ehrlich verdienten Lohn, welchen er nun in einer unerwarteten Höhe in Empfang nehmen konnte. Zweitausend Taler, was für eine Summe! Sofort überlegte er, welches Motiv er dem neuen Gemälde für den Amtsrat W. und seiner Frau verleihen wollte und bis wann es fertig sein müsste, um beide noch rechtzeitig zu deren fünfzehnten Hochzeitstag zu überraschen.

Der geheimnisvolle Fremde zog zweitausend Taler und einen Bogen Papier aus seiner alten braunen, schon sehr abgegriffenen Aktentasche. Erfreut nahm Herr K. die unverhoffte Summe in Empfang.

»Lieber Herr K.,«, sagte der geheimnisvolle Fremde plötzlich und seine Stimme wurde plötzlich merkwürdig scharf: »soeben haben Sie zweitausend Taler eingenommen, dies hier ist ein Steuerveranlagungsbescheid und ich bin des Herrschers Finanzbeamter.«

Verblüfft betrachtete Herr K. das ihm entgegengehaltene Formular und fragte: »Aber ich dachte, Sie wollten nur das zauberhafte Gemälde kaufen?«

Ungerührt entgegnete der geheimnisvolle Fremde: »Das ist richtig, doch Sie haben soeben zweitausend Taler eingenommen und dieses Einkommen muss versteuert werden, da kann ich leider nichts machen, ich komme hier meinen Amtspflichten nach und erfülle nur das geltende Gesetz.«

Herr K. begann sich zu empören und sagte: »Dann verkaufe ich Ihnen das Gemälde eben nicht.«

Lächelnd sagte der geheimnisvolle Fremde: »Zu spät, lieber Herr K., ich habe es bereits erworben. Ein Mann, ein Wort, oder etwa nicht?«

Herr K. geriet nun langsam in Rage, hielt dem geheimnisvollen Fremden die zweitausend Taler hin und drohte, ihn aus seinem Haus zu werfen, worauf dieser entgegnete, dass er in diesem Fall die Polizei zur Amtshilfe holen müsse und Herr K. solle vorsichtig sein, da er, der geheimnisvolle Fremde, auch alle anderen bereits verkauften Gemälde besteuern könne und er würde hier die Amtsgewalt vertreten, während sich Herr K. an das Gesetz zu halten hätte. »Vor dem Gesetz sind alle gleich, das werden Sie doch einsehen, oder?«, sagte der geheimnisvolle Fremde, während er sich die Hände rieb.

Plötzlich fiel Herrn K. ein, warum er in diese Stadt gezogen war. Ursprünglich kam Herr K. aus einer Stadt, in der Künstler, welche dem dortigen Herrscher nicht gefielen, etwa weil sie ihn mit ihrer Kunst kritisierten, verfolgt wurden und ihre Kunst eines Tages auf einem großen Scheiterhaufen als entartet verbrannt wurde. Aus diesem Grunde flüchtete Herr K. damals aus dieser Stadt. Während seiner Wanderschaft hörte er von der Stadt, in welcher er jetzt lebte, und von ihrem Herrscher, welcher ein Gesetz erlassen hatte, nach welchem in seiner Stadt die Kunst frei von Zwang sein sollte. Sie sollte frei sein von jedem fremden Einfluss auf den Werk- und Wirkbereich der Künstler, um zu verhindern, dass Künstler ihre Kunst nicht mehr ausüben könnten, weil ihnen ein Herrscher mit Zwang drohte. Deshalb kamen die Künstler in Scharen in diese Stadt und die Kunst blühte wie nirgendwo anders. Auch in dieser Stadt wurde der Herrscher mit Kunst kritisiert, aber er war überzeugt, dass es seinem Ruf gerade deshalb gut tun würde, wenn er diese Kritik souverän zulassen würde. Deshalb lebte Herr K. nun in dieser Stadt und jetzt erinnerte er sich wieder an dieses Gesetz.

»Ha!«, triumphierte er, ging zu seinem Schrank, zog die Schublade auf und holte unter einem Stapel von Papieren das vom Herrscher der Stadt unterzeichnete Gesetz hervor. Es stand gut leserlich mit großen Buchstaben auf der Urkunde, welcher jeder Künstler der Stadt bekommen hatte: »Hiermit verfüge und befehle ich, Kurt Georg der Große, dass fürderhin in meiner Stadt die Kunst frei zu sein hat und bei Strafe dass niemand sich unterstehen soll, einen Künstler in seinem Werke zu hindern oder zu etwas anderem als seine Kunst zu zwingen oder diese zum Zwange zu nutzen, auf dass die Kunst in meiner Stadt blühe und gedeihe.«

Gelassen hielt Herr K. dem geheimnisvollen Fremden dieses Gesetz nun unter die Nase und sagte: »Dieses Gesetz gilt selbstverständlich auch für die Freiheit von Steuern!«, worauf der geheimnisvolle Fremde nüchtern entgegnete: »Das können Sie nicht so sehen Herr K., denn unser Herrscher wollte zwar die Kunst von Zwängen befreien, aber er meinte damit sicher nicht, dass die Künstler von der Steuer befreit seien, oder steht in diesem Gesetz etwa, dass die Kunst steuerfrei sei? Nein!«

Dieser Logik konnte sich Herr K. nicht wirklich ganz entziehen, es stand in diesem Gesetz wirklich nicht, dass die Kunst von der Steuer befreit sei, sondern nur, dass die Kunst frei sei. »Aber Freiheit bedeutet doch frei von jeder Einwirkung in den Werk- und Wirkbereich, frei bedeutet doch frei von Zwang?«, fragte er kopfschüttelnd und bereits zweifelnd.

»Ja«, sagte der geheimnisvolle Fremde, »aber ich greife doch mit der Erhebung von Steuern nicht in Ihren Werk- und Wirkbereich ein oder zwinge Sie zu etwas, Sie können ja weiterhin alle Gemälde frei malen und ich schreibe Ihnen auch nicht vor, was und wie Sie malen dürfen und was und wie nicht. Ich erhebe lediglich Steuern auf ihr Einkommen und dieser Steuer unterliegen alle, denn vor dem Gesetz ist jeder gleich. Das werden Sie doch verstehen, Herr. K.?«

»Aber dieses Gesetz des Herrschers, dass die Kunst frei von jedem Zwang zu sein hat, muss doch seinem Inhalt nach in diesem Fall den gesetzlichen Steuerzwang aufheben?« sagte Herr K., sich im Recht wissend, worauf der geheimnisvolle Fremde mit Nachdruck und einem leicht drohenden Unterton erwiderte: »Herr K., solange in diesem Gesetz nicht steht, dass Sie als Künstler keine Steuern zahlen müssen, haben auch Sie sich an die allgemeinen Steuergesetze zu halten. Stellen Sie sich einmal vor, jeder Künstler würde jetzt behaupten, weil die Kunst frei ist, müsse er keine Steuern zahlen, nur weil der Herrscher befohlen hat, die Kunst sei frei. Das kann ich nicht akzeptieren. Das ist ungerecht, denn vor dem Gesetz sind wir doch alle gleich, oder wollen Sie das nicht verstehen? Sie bilden da keine Ausnahme, Herr K.!«

In einem letzten Widerstand sagte Herr K.: »Dann gehe ich zum Herrscher und beschwere mich!«, worauf der geheimnisvolle Fremde erwiderte: »Der Herrscher ist im Urlaub und die Steuern sind jetzt fällig und wenn Sie keine Steuern zahlen wollen, dann muss ich Ihr Haus pfänden und wenn Sie dies nicht zulassen wollen, dann muss ich die Polizei holen und Sie im Kerker einsperren lassen, bis Sie die Steuern zahlen! Später können Sie sich gern beim Herrscher beklagen. Sie leben schließlich in einem Rechtsstaat.«

Hilflos und resignierend sagte Herr K.: »Wieviel Steuern soll ich denn zahlen?«

»Sehen Sie, wenn Sie vernünftig sind, kommen wir schon überein«, beruhigte der geheimnisvolle Fremde den nun völlig aufgelösten Herrn K., »wir untersuchen jetzt einfach, wieviel Taler Sie für die Herstellung des Gemäldes investiert haben und verrechnen dies dann mit der zu versteuernden Summe, deren Steuer fünfzig Prozent vom Erlös ausmacht. So kann ich die Steuern einziehen und Sie haben noch mehr als fünfzig Prozent Ihres Erlöses übrig, dass ist doch fair, oder?«

Herr K. gab sich geschlagen und tröstete sich mit dem Gedanken, dass er zumindest noch mehr als fünfzig Prozent seines Erlöses behalten würde und rechnete schon in Gedanken, um wieviel er in Zukunft den Preis für ein Gemälde erhöhen müsste, um sich die aufwendige Herstellung weiterhin zu leisten und trotzdem von den Erlösen leben zu können. Herrn K. jovial auf die Schulter klopfend sprach der geheimnisvolle Fremde mit verschwörerischer Miene, ganz so als könne er die Gedanken des Herrn K. lesen: »Sie können ja in Zukunft die Preise erhöhen, um sich die aufwendige Herstellung der Gemälde weiterhin zu leisten und trotzdem von den Erlösen leben zu können. Steuern müssen wir alle zahlen, denn vor dem Gesetz sind wir doch alle gleich. Das müssten Sie doch nun endlich wissen, oder?«

Der geheimnisvolle Fremde setzte sich in Herrn K.`s Sessel und legte fein säuberlich das Steuerveranlagungsformular auf den Tisch und zückte den Stift: »Wir beginnen mit dem Rahmen aus hochwertigem abgelagerten alten Kiefernholz aus Kanada. Was hat Sie dieser gekostet?« Herr K. rechnete nach und kam auf einen Betrag von einhundert Talern, welche der Fremde als Ausgabe notierte. »Welche Kosten hatten Sie für die wundervolle Leinwand aus bestem, in Oberägypten angepflanztem, verarbeitetem und handgewebtem Flachs?«

Herr K. rechnete nach und kam wieder auf einen Betrag von einhundert Talern, welche der Fremde wiederum als Ausgabe notierte.

»Was haben Sie bezahlt für das Perillaöl aus dem fernen Japan?«

Herr K. rechnete erneut und kam noch einmal auf einen Betrag von einhundert Talern, welche der Fremde unbeirrt als Ausgabe notierte.

»Kommen wir zu den Farben. Was mussten Sie bezahlen, um das Türkis aus dem Iran für den die Landschaft des Gemäldes durchziehenden kleinen Fluss, den Lapislazuli aus Afghanistan für das Ultramarin des die Landschaft überspannenden Himmels, das Weiß aus Namibia für die schneebedeckten Berge, aus welchem auch die Mennige für das leuchtende Rot der herbstlichen Buchen und Rosen entsteht, das aus China stammende Rauschgelb als Grundlage der wogenden Kornfelder und Sonnenblumen und schließlich das Umbra aus dem aus Spanien stammenden Limonit für den satten Boden verwenden zu können?«

Auch hier errechnete Herr K. einen Betrag von einhundert Talern.

»Bleiben noch die sehr wertvollen Pinsel, deren Haar vom Schweif des sibirischen Kolinsky Rotmarders stammt sowie der Firnis aus dem Harz von Mastix-Pistazienbäumen der griechischen Insel Chios sowie, wieviel zahlten Sie dafür?«

Herr K. rechnete zum letzten Male und kam ebenfalls auf einen Betrag von einhundert Talern.

»Das macht zusammen einen vom zu versteuernden Erlös abzuziehenden Betrag von fünfhundert Talern!«, sagte der geheimnisvolle Fremde und Herr K. begann sich ein wenig zu freuen, errechnete er doch immerhin nur noch einen mit fünfzig Prozent zu versteuernden Betrag von eintausendfünfhundert Talern. Die Steuern würden sich zwar auf stattliche siebenhundertfünfzig Taler belaufen, aber der Rest von eintausendzweihundert Talern blieb ihm immerhin noch übrig; damit konnte er leben und es war auf jeden Fall mehr, als die ursprünglich von ihm gewünschten eintausend Taler.

Glück im Unglück, dachte sich Herr K., er wäre ja nicht so glimpflich davongekommen, hätte ihm der geheimnisvolle Fremde nicht freundlicherweise das Doppelte für das zauberhafte Gemälde bezahlt. Schnell und voller Freude teilte er dem geheimnisvollen Fremden das Ergebnis seiner Rechnung mit, denn im Rechnen war er auf Grund seiner weltweiten Einkäufe mit den verschiedensten Währungen kein Amateur.

Nachdenklich nickte der geheimnisvolle Fremde mit dem Kopf und machte irgendwie keinen so zufriedenen Eindruck wie Herr K., welcher dies mit einem unguten Gefühl im Magen registrierte. Aber verrechnet hatte er sich definitiv nicht, denn Mathematik ist überall auf der Welt gleich, also musste der geheimnisvolle Fremde ebenfalls auf das gleiche Ergebnis kommen.

Nun, so hoffte Herr K. würde die Angelegenheit für ihn zwar nachteilig, aber dennoch nicht ganz so schlimm enden. Und mal ganz ehrlich, Steuern müssen wir doch alle zahlen, Freiheit hin oder her und tatsächlich hat ja der geheimnisvolle Fremde keinen Eingriff in den Werk- und Wirkbereich des Herrn K. vorgenommen, sondern nur die Steuern aus dessen Erlös eingefordert, denn vor dem Gesetz sind alle gleich und man kann ja in Zukunft die Preise erhöhen, um sich die aufwendige Herstellung der Gemälde weiterhin zu leisten und trotzdem von den Erlösen leben zu können – so dachte Herr K., legte siebenhunderfünfzig von den zweitausend Talern zurück auf den Tisch und stellte das zauberhafte Gemälde auf die Staffelei zurück, um es zum Abschied noch einmal zu betrachten.

Irgendwie erschien es ihm auf einmal, als hätte sich etwas an dem zauberhaften Gemälde verändert. Doch er konnte sich im Moment nicht wirklich darauf konzentrieren, da er mit den Gedanken bei dem seltsamen geheimnisvollen Fremden war und noch Mühe hatte, Verständnis für den eigenartigen Lauf der Dinge aufzubringen.

Ein leichtes Räuspern seitens des geheimnisvollen Fremden unterbrach den Gedankenfluss des Herrn K.: »Sagen Sie mal, Herr K., das Umbra für den satten Boden entsteht doch aus dem aus Spanien stammenden Limonit?«

Herr K. drehte sich zu dem Fremden hin und fragte ein wenig verständnislos zurück: »Ja, weshalb fragen Sie?«

Dieser fragte jedoch weiter: »Gibt es Limonit ausschließlich in Spanien?«

Herr K., im Wissen um das Nichtverständnis des Fremden für die Feinheiten künstlerischer Auswahl hinsichtlich der speziellen Qualität, welche Herr K. bevorzugte, erklärte wohlwollend: »Natürlich nicht! Limonit gibt es überall auf der Welt, sogar hier vor der Haustür, aber dieser Limonit ist etwas ganz Besonderes!«

Verständnisvoll nickte der geheimnisvolle Fremde und fragte weiter: »Könnte man, rein theoretisch versteht sich, für das aus China stammende Rauschgelb, als Grundlage der wogenden Kornfelder und Sonnenblumen, nicht auch ein einfaches Gelb, aus, sagen wir, Sonnenblumenstaub verwenden?«

Über den Mangel an Wissen des geheimnisvollen Fremden lächeln müssend, antwortete Herr K. erklärend: »Natürlich, aber dieses Gelb ist etwas ganz Besonderes!«

Begreifend nickte der geheimnisvolle Fremde, dachte abermals nach und fragte dann in entschuldigendem Tonfall: »Und wie steht es mit dem Weiß aus Namibia für die schneebedeckten Berge, aus welchem auch die Mennige für das leuchtende Rot der herbstlichen Buchen und Rosen entsteht? Könnte man das, rein theoretisch versteht sich, und auch den Lapislazuli aus Afghanistan für das Ultramarin des die Landschaft überspannenden Himmels und das Türkis aus dem Iran für den die Landschaft des Gemäldes durchziehenden kleinen Fluss nicht auch durch andere, zugegeben minderwertige, aber ungefähr gleich anzusehende Farben austauschen? Weil Blau ist doch Blau, oder?«

Ein bisschen genervt, weil er nicht so richtig wusste, was diese laienhaften, weil seine künstlerische Ansicht überhaupt nicht wiedergebenden Fragen sollten, antwortet Herr K. schon ein wenig scharf: »Natürlich, all das kann man um die Ecke kaufen, ganz billig. Das ist überhaupt kein Problem, aber ich stelle hochwertige Gemälde her, und dies erfordert einen solchen Aufwand. Denn Blau ist eben nicht gleich Blau!«

Doch der geheimnisvolle Fremde hob zur nächsten Frage an: »Verstehe ich das also richtig, wenn Sie die Farben um die Ecke billig erwerben würden, dann könnte der Käufer eines Gemäldes nicht wirklich unterscheiden, ob sie hochwertige oder billige Farben benutzt haben?«

Tief einatmend entgegnete Herr K., sich in Gedanken beherrschen müssend und nun schon sehr beunruhigt: »Wenn es kein wirklicher Kenner ist, nein, aber alle wissen, dass ich einen solchen Aufwand betreibe und auch dieser Aufwand macht die Gemälde so wertvoll!«

Beruhigend bemerkte der geheimnisvolle Fremde: »Machen Sie sich keine Sorgen, ich möchte nur verstehen, weshalb Sie einen solchen Aufwand treiben, um Ihre Gemälde herzustellen. Mich interessiert einfach Ihre Arbeit. Ich habe das zauberhafte Gemälde ja nicht ohne Grund erworben und Ihnen zweitausend Taler dafür gezahlt.«, worauf Herr K. ihn daran erinnerte, dass er die eben errechneten Steuern ebenfalls bereits gezahlt und nun gern über diese Summe eine Quittung bekommen würde. Außerdem wolle er den Besuch nun beenden, da die Steuerfrage wohl geklärt sei und er den Amtsrat W. nebst Frau erwarte.

Plötzlich hörte Herr K. ein seltsames Geräusch, wie ein leises Scharren. Es schien von der Staffelei zu kommen. Wahrscheinlich haben sich nur die alten Dielen etwas angehoben, dachte er und schenkte dem Geräusch deshalb keine weitere Aufmerksamkeit.

»Wir kommen gleich zum Schluss, Herr K., jedoch muss ich zuvor noch folgendes wissen: Gilt das Gleiche für die wundervolle Leinwand, welche auf einen Keilrahmen aus hochwertigem abgelagerten alten Kiefernholz aus Kanada aufgezogen ist und aus bestem handgewebtem Flachs aus der Leinpflanze, angebaut in Ägypten, besteht, sowie für das Firnis aus dem Harz von Mastix-Pistazienbäumen der griechischen Insel Chios und natürlich für auch die sehr wertvollen Pinsel, deren Haar vom Schweif des sibirischen Kolinsky Rotmarders stammt? Hätten Sie anstelle dessen auch weniger teures Material verwenden können, um Ihre Gemälde zu malen?«

Wütend mit dem Fuß auf die alten Dielen aufstampfend, schrie Herr K. völlig mit den Nerven am Ende und mutmaßend, der geheimnisvolle Fremde wolle bloß nachträglich den Preis für das zauberhafte Gemälde drücken: »JA, ich hätte all die vielen Gemälde, welche ich bisher gemalt und verkauft habe, absolut billig herstellen können, das hätte pro Gemälde keine zehn Taler gekostet, und ich hätte trotzdem jedes für eintausend Taler verkaufen können, aber ich habe das nicht getan, ist das so schwer zu verstehen? Ich bin Künstler und habe einen sehr hohen Anspruch an meine Arbeit als Künstler. Genau deshalb male ich zauberhafte Gemälde!«

Verstehend nickte der geheimnisvolle Fremde und beschwichtigte: »Ja, ja, das verstehe ich vollkommen, aber können könnten Sie, rein theoretisch? Richtig?«

Herrn K. standen die Tränen in den Augen, als er sich wie ein Wurm windend antwortete: »Ja, so gesehen haben Sie rein theoretisch recht.«, um trotzig hinzuzufügen: »Aber gemacht habe ich das nicht und machen werde ich das auch nicht!«

Jetzt war das Knacken aus Richtung der Staffelei unüberhörbar, aber Herr K. war von dem geheimnisvollen Fremden gebannt wie ein Kaninchen von der Schlange.

Der geheimnisvolle Fremde erhob sich, hob entschuldigend die Arme und sagte mitfühlend aber bestimmt zu Herrn K.: »Also können wir festhalten, dass dieses Gemälde, ebenso wie all die anderen, auch ohne die wertvollen Farben, das teure Perillaöl, die feine Leinwand, den ausgesuchten Kiefernholzrahmen und den seltenen Mastix-Harz-Firnis sowie die wirklich exklusiven Kolinsky-Marderhaar-Pinsel existieren könnte, selbstverständlich rein theoretisch?«

Herr K. seufzte, den Kopf hängen lassend und seine Augen schließend: »In Gottes Namen, ja! Aber warum fragen Sie mich das alles? Ich habe meine Gemälde doch mit all den wertvollen Ingredienzen hergestellt und diese sehr teuer bezahlt, so wie bei diesem zauberhaften Gemälde auch!«

Die Staffelei rutschte auf einmal, wie von Geisterhand geführt, ein großes Stück über den Boden. Das zauberhafte Gemälde schwankte bedrohlich und Herr K. konnte gerade noch rechtzeitig aufspringen, um zu verhindern, dass es auf den Boden fiel.

Der jetzt sehr unheimlich wirkende geheimnisvolle Fremde stand auf und sagte nun mit sehr unheimlich ruhiger Stimme: »In diesem Fall, Herr K., tut es mir aufrichtig leid, aber unter diesen Umständen kann ich die von Ihnen angegebenen Kosten nicht als vorsteuerabzugsberechtigt anerkennen. Ich komme Ihnen jedoch insoweit entgegen, als dass ich Ihnen, weil ich Sie und Ihr zauberhaftes Gemälde sehr schätze, für dieses eine abzugsfähige Summe von, sagen wir, zehn Talern anerkenne, da, wie Sie selbst sagten, all dieses Zubehör auch woanders und billiger zu haben gewesen wäre und demzufolge Ihre Ausgaben in wirtschaftlicher Hinsicht unnötig waren, um das zauberhafte Gemälde zu malen. Das Motiv hätte auch mit anderen Mitteln festgehalten werden können und auch so wäre es sicher ein zauberhaftes Gemälde geworden. In Anbetracht dessen haben Sie für das zauberhafte Gemälde eine Summe von eintausendneunhundertneunzig Talern mit fünfzig Prozent zu versteuern, was einer Steuersumme von neunhundertfünfundneunzig Talern entspricht. Siebenhunderfünfzig Taler haben Sie bereits gezahlt, was wiederum eine zu noch zahlende Reststeuerschuld von zweihundertfünfundvierzig Talern für dieses zauberhafte Gemälde ergibt.«

Herr K. war fassungslos und begriff nicht, was hier passierte. Er bekam plötzlich Angst vor diesem immer unheimlicher werdenden geheimnisvollen Fremden, von dessen Existenz er vor einer Stunde noch nichts wusste, und welcher jetzt begann, das Leben des Herrn K. auf eine unvorhergesehene Weise dramatisch zu verändern. Aber er war bereit, auch die restlichen zweihundertfünfundvierzig Taler zu zahlen. Hauptsache dieser Alptraum ging schnell vorüber. Bittend hielt er dem geheimnisvollen Fremden die geforderte Summe hin.

Doch es war noch nicht vorbei. Das Gesicht des geheimnisvollen Fremden wurde hart und seine Augen ganz kalt: »Ich schätze weiterhin, dass Sie in der Vergangenheit ungefähr einhundert weitere Gemälde verkauft haben. Dafür setze ich den von Ihnen veranschlagten Preis von eintausend Talern an und berechne Ihnen dafür eine jeweilige Ausgabe von zehn Talern pro Gemälde. Das bedeutet, dass Sie ein geschätztes Einkommen zu versteuern haben, dessen Höhe nach Abzug der Ausgaben von eintausend Talern insgesamt neunundneunzigtausend Taler beträgt, was nach amtlicher Rechnung eine Steuerschuld von neunundvierzigtausendfünfhundert Talern ergibt. Zuzüglich der restlichen Steuerschuld von zweihundertfünfundvierzig Talern für das zauberhafte Gemälde ergibt dies eine vorläufige Steuerschuld von nunmehr insgesamt neunundvierzigtausendsiebenhundertfünfundvierzig Talern. In Anbetracht der Tatsache, dass die von Ihnen erzielten und der Finanzbehörde nicht gemeldeten Einnahmen bereits geraume Zeit zurückliegen und Sie die dafür fälligen Steuern noch nicht gezahlt haben, muss hier darüber hinaus von einer insgesamt mit fünf Prozent Strafzinsen zu belegenden Steuerschuld von neunundvierzigtausendfünfhundert Talern ausgegangen werden, wobei die dafür fälligen Strafzinsen eine Höhe von zweitausendvierhunderfünfundsiebzig Talern ergeben. Einer Stundung kann ich in Anbetracht der Tatsache, dass durch Ihr eigenes Versäumnis dem Herrscher ein großer Steuerschaden entstanden ist, nicht gewähren. Nunmehr fordere ich Sie auf, mir die von Ihnen geschuldeten Steuern in einer Gesamthöhe von zweiundfünfzigtausenddreihundertfünfzig Talern unverzüglich auszuhändigen.«

Verzweifelt fragte Herr K.: »Aber woher soll ich denn eine solche gewaltige Summe nehmen? Ich habe all mein Geld in meine Kunst investiert!«

Der geheimnisvolle Fremde sagte, wie bedauernd mit den Schultern zuckend: »Das tut mir leid, das hätten Sie sich vorher überlegen müssen, aber dieser Umstand enthebt Sie nicht von Ihrer jetzt abzugeltenden Steuerpflicht, denn wie wir wissen, vor dem Gesetz sind wir doch alle gleich. Ihre momentane Steuerschuld beträgt also nach wie vor zweiundfünfzigtausenddreihundertfünfzig Taler. Ich fordere Sie nun zum letzten Male auf, mir diese Summe jetzt endlich auszuhändigen. Für den Fall der Weigerung muss ich in Ausübung meiner Amtsgewalt, so will es das Gesetz, Ihr Haus pfänden. Das täte mir sehr leid, denn ich schätze Ihre zauberhaften Gemälde sehr hoch ein.«

Ein letztes Mal versuchte Herr K. den geheimnisvollen Fremden verzweifelt darauf hinzuweisen, dass er kein Geld hätte, außer den eintausendzweihunderfünfzig Talern des Fremden und noch ein bisschen Erspartes für das Alter, und dass der geheimnisvolle Fremde damit von ihm verlange, seine Kunst nicht mehr so auszuüben, wie er es als Künstler wolle, und dass er nun eigentlich sogar gezwungen sei, seine Arbeit aufzugeben und seine Kunst gar nicht mehr auszuüben. Dieses würde aber doch das Gesetz des Herrschers, wonach die Kunst frei von Zwängen zu sein hat, bei Strafe verbieten. Der geheimnisvolle Fremde zuckte jedoch wieder mit den Schultern und sagte: »Es tut mir, wie bereits gesagt, sehr sehr leid, aber ich mache hier auch nur meine Arbeit und führe das Gesetz aus und vor dem sind wir alle gleich.«

Herr K. bettelte nun auf den Knien, der geheimnisvolle Fremde möge doch Einsicht walten lassen und er könne doch nicht all die Ausgaben, welche Herr K. für die vielen Gemälde aufbringen musste, um sie so herzustellen, wie sie waren, unberücksichtigt lassen. Der geheimnisvolle Fremde jedoch schwieg mit eiserner Miene und schüttelte verneinend den Kopf.

»Nein!«, schrie Herr K. und stürzte wie von Sinnen zu dem zauberhaften Gemälde, riss es von der Staffelei und erstarrte sprachlos. Irgend etwas hatte sich daran verändert. Nein, irgend etwas veränderte sich gerade jetzt an dem Gemälde. Es schien plötzlich ein Eigenleben zu entwickeln. Es vibrierte und bewegte sich in seinen Händen. Fassungslos sah Herr K. dicke Tropfen des Perillaöls aus dem zauberhaften Gemälde hervortreten, sie perlten langsam über die Landschaft auf der Leinwand und tropften zäh auf den Boden des Ateliers. Das Türkis des die Landschaft des Gemäldes durchziehenden kleinen Flusses schien jetzt wirklich zu fließen. Er trat über seine gemalten Ufer und verlief auf dem ganzen Gemälde. Das Blau des Ultramarin des die Landschaft überspannenden Himmels sah plötzlich aus wie ein Regenhimmel, wobei dieser Regen begann, den Himmel zu verwischen. Das ganze Gemälde schien sich aufzulösen. Nein, das war keine Halluzination, es löste sich wirklich auf. Die Mennige, aus der das leuchtende Rot der herbstlichen Buchen und Rosen entstand, trübte und vermischte sich mit den anderen unaufhörlich fließenden Farben, so dass es aussah, als würden die Buchen verfaulen und die Rosen verblühen. Das leuchtende Weiß der schneebedeckten Berge schmolz wie die Berge selbst zur Unscheinbarkeit dahin, während die ehemals rauschgelben Kornfelder und Sonnenblumen einem Traumgespinst gleich an Kontur und Inhalt verloren. All die wertvollen Farben vermischten sich zu einem einzigen schmutzigen Durcheinander, welches, langsam aber stetig, zu verblassen begann. Das ganze Gemälde wurde mehr und mehr unsichtbar, bis das Umbra des satten Bodens zuletzt verschwand und von der Landschaft nur mehr eine Ahnung übrig blieb. Erschüttert sah Herr K., wie die letzten Schatten von Farbe das Gemälde verließen und die Leinwand ihr ursprüngliches Grau wieder frei gab.

Doch nun begannen sich in der wundervollen Leinwand Löcher zu bilden, sie riss und auch sie floss auseinander. Vereinzelte ihrer Fetzen fielen zu Boden und lösten sich, noch bevor sie ihn erreichten, in Nichts auf. Der Keilrahmen aus hochwertigem abgelagerten alten Kiefernholz schmolz wie heißes Wachs in seinen Händen, das viele Jahre alte Harz klebte an seinen Fingern, während sich seine Hände mehr und mehr um ein Nichts schlossen. Tränen schossen in die Augen von Herrn K. als er sah, wie sich das ganze zauberhafte Gemälde in ein Nichts auflöste.

Das zauberhafte Gemälde war schließlich ganz verschwunden, so als wäre es nie gemalt worden. Allein ein weicher, warmer Duft nach altem Kiefernholz aus Kanada, japanischem Perillaöl und Harz von Mastix-Pistazienbäumen der griechischen Insel Chios blieb, wie zum Andenken, noch ein wenig im Raum hängen, bis auch er durch eine leichte Sommerbrise durch das offene Fenster entfloh. Das zauberhafte Gemälde war nur noch eine Erinnerung im Geiste des Herrn K.

Unbeeindruckt von der gespenstischen Szenerie stand der geheimnisvolle Fremde, die Vorgänge sehr aufmerksam und mit einem fast unmerklichen Lächeln um seine schmalen Lippen beobachtend, in der dunklen Ecke des Ateliers und sprach weiter in amtlichem Tonfall: »Nun, da das zauberhafte Gemälde wohl offenbar durch Sie zerstört wurde, vielleicht in der irrigen Annahme, so würden keine Steuern für das zauberhafte Gemälde fällig, sehe ich mich gezwungen, von Ihnen die bereits erhaltene Summe von zweitausend Talern zurückzufordern, was Sie jedoch nicht von den für das zauberhafte Bild erhobenen Steuern enthebt. Sie haben unseren Vertrag mutwillig und vorsätzlich gebrochen und ich werde mir deshalb diesbezüglichen Schadenersatz vorbehalten. Jedoch unbeachtlich des zerstörten zauberhaften Gemäldes haben Sie nach wie vor Ihre Steuerschuld von zweiundfünfzigtausenddreihundertfünfzig Talern für alle Einnahmen unverzüglich zu erbringen. Denn Steuern müssen alle zahlen und vor dem Gesetz sind wir doch alle gleich, nicht wahr Herr K.? Auch Ihre Freiheit kostet Geld!«

Als man später den vor Schreck erstarrten und leblosen Körper des Herrn K. durch die Haustüre trug, standen der Amtsrat W. und seine Frau vor dem Hause, welches von dem geheimnisvollen Fremden gerade mit einem großen bedrohlich aussehenden Pfandsiegel verschlossen wurde. Amtsrat W. sagte erleichtert zu seiner Frau: »Gut, dass wir das zauberhafte Gemälde noch nicht gekauft hatten. Stell Dir vor, was die Leute von uns denken würden, hätten sie erfahren, dass wir einen Steuersünder unterstützten.«

Während seine Frau zustimmend nickte, drehten sich beide um und gingen ungerührt und auch ein wenig erleichtert weiter ihres Weges nach Hause. Als sie dort ankamen und sich mit einem Glas teuren Weines vor den vom knisternden Feuer erhellten Kamin setzen wollten, bemerkten sie etwas sehr Seltsames: Die eigentlich die Wände zieren sollenden zauberhaften Gemälde von Herr K. waren sämtlich verschwunden, ganz so, als wären sie nie gemalt worden. Lediglich auf dem Parkett aus der seltenen mexikanischen Eiche schwammen kleine Fetzen von Leinwand in seltsamen buntschmutzigen Pfützen und ein weicher, warmer Duft nach altem Kiefernholz aus Kanada, japanischem Perillaöl und Harz von Mastix-Pistazienbäumen der griechischen Insel Chios blieb, wie zum Andenken, noch ein wenig im Raum hängen, bis auch er – wie eine leichte Sommerbrise – durch das offene Fenster entwich.